Staatsgut Grub
Zu zweit geht vieles besser - paarweise Aufzucht von Kälbern
Rinder sind ausgeprägte Herdentiere und fühlen sich nur im Herdenverband und in Gemeinschaft so richtig wohl. In der modernen Milchviehhaltung versucht man aber gerade zur Gesunderhaltung und Infektionsabwehr in den ersten Lebenswochen, die Kälber durch Abschottung in Einzelhaltung zu „isolieren”. „Einzelhaft“ ist angesagt!
Was in der Praxis in der Masse der Fälle gut funktioniert, wird vom Gesetzgeber aber aus Tierwohlgründen „torpediert”! Kälber müssen laut Haltungsverordnung als „Herdentiere” ab Geburt Sicht- und Berührungskontakt zu ihren Artgenossen haben können. Es ist bewiesen, dass Trennung und isolierte Einzelhaltung für Kälber erheblichen Stress bedeutet.
Eine Idee, die einen Ausweg aus diesem unschönen Dilemma bietet und allen Aspekten gerecht wird, setzt sich mehr und mehr durch: Die paarweise Haltung und Aufzucht von Milchviehkälbern!
An der Universität in British Columbia in Vancouver fanden Wissenschaftler vor rund zehn Jahren heraus, dass Kälber ein zweites weiteres Kalb als vollwertigen Herdenersatz anerkennen. Ein frühes „Gruppieren” in Zweiergruppen entspricht in der Entwicklung der Kälber in vollem Umfang dem Belassen bei den Kühen.
Box mit Trennwand
Vorteile:
Die „Pärchenkälber“ wachsen im Vergleich zu Kälbern in der Einzelhaltung nicht nur deutlich besser, weil sie sich gegenseitig zur Futteraufnahme anspornen, sondern sie sind auch gegenüber neuen und unbekannten Futtermitteln wesentlich offener und aufgeschlossener. Das Anlernen und Gewöhnen an neue, unbekannte Futtermittel gerade nach dem Absetzen bringt generell ein erhöhtes Azidoserisiko für die Kälber mit sich. Die paarweise aufgezogenen Kälber brauchten in Versuchen nach dem Absetzen rund 9 Stunden, um Festfutter aufzunehmen. Die vorher in Einzelhaltung aufgezogenen Kälber brauchten dagegen aber 5 x länger, nämlich 48 Stunden!
Box ohne Trennwand
Auch der Absetzstress fällt bei paarweise aufgezogenen Kälbern deutlich geringer aus. Setzt man diese ab, „beschweren” sie sich deutlich weniger und lautstark, als man das von Einzelkälbern her kennt. Die Kälber werden insgesamt positiv geprägt, entwickeln ein geringeres Stresslevel, sind neugieriger und dem „Stallpersonal” gegenüber weniger ängstlich und deutlich kooperativer eingestellt. Ein Aspekt, der vor allen Dingen um die Abkalbung voll zum Tragen kommt und das Arbeiten mit den Tieren auf Jahre hinaus wesentlich angenehmer macht.
Die Pärchenkälber wachsen, man möchte es nicht glauben, auch zu intelligenteren Tieren heran. In einem Futterbelohnungsversuch mussten die Kälber erst lernen, mit der Nase einen roten, aufblinkenden Computerbildschirm zu berühren, damit dann ein Sauganrecht freigegeben wurde. Die Pärchenkälber lernten dieses Verhalten in 13 Sitzungen tendenziell schneller. Vertauschte man nun die Bedingungen zur Belohnung, in dem ein aufblitzender weißer Bildschirm statt der roten Farbe das Ziel war, so schafften 80% der Pärchenkälber mit dieser umgekehrten Situation umzugehen. Die Einzelkälber scheiterten dagegen fast alle bei dieser Transferleistung mit umgekehrten Vorzeichen. Das heißt für das praktische Management und den Umgang mit den Tieren, dass Treibwege, Ausläufe, Buchten- oder Gruppenwechsel, neue Stallgefährten oder auch Personalwechsel schneller und leichter akzeptiert werden. Daraus ergibt sich weniger Stress und ein geringeres Erkrankungs- und Abgangsrisiko und geringere Zellzahlen.
Duo Kälberbox
In einem weiteren Versuch zeigte es sich, dass das Erkrankungsrisiko bei der Pärchenhaltung gegenüber der Einzelhaltung bis zum Absetzen ebenfalls deutlich geringer ausfällt. Die „Gruppenkälber” haben rund 2/3 weniger Durchfall und 50 % weniger Lungenentzündungen. Die beiden jeweils etwa gleichaltrigen Kälber bilden eine sogenannte „Infektionseinheit”, die über die immunologische Lücke hinaus ein deutlich reduziertes Infektionsrisiko aufweist. Es muss nämlich keine Umstellung oder Umstallung erfolgen, die beiden Tiere bleiben bis zum Absetzen zusammen und es kommt zu keinem „Risiko”-Kontakt mit anderen Tieren.
Nachteile:
Als einziger, ernst zu nehmender, möglicher negativer Aspekt, muss die Gefahr des gegenseitigen Besaugens genannt werden. Dies geschieht, wenn die Tiere über die Tränke nicht oder nicht schnell genug satt werden. Es sollte deshalb bei der paarweisen Aufzucht eine intensive bzw. eine ad-libitum-Tränke zum Einsatz kommen.
Pärchenhaltung ist sowohl in der Außenhaltung in Iglus möglich als auch in der Innenhaltung mit Boxen, deren Zwischenwände herausgezogen werden können und so bequem und schnell eine Gruppenbildung ermöglichen.
Seit Februar 2022 werden im Staatsgut Grub auch Kälber paarweise in Duo Kälberboxen gehalten, um Erfahrungen für die bayerische Praxis zu sammeln.